Welche sind die drei am häufigsten genannten Gründe, aus denen Touristen aus aller Herren Länder nach Deutschland strömen? Schloß Neuschwanstein, tausende Kilometer Autobahn und natürlich das Oktoberfest. Kaum ein anderes Volksfest kann es mit den sechs Millionen Besuchern der Münchener „Wiesn“ auf sich nehmen und kaum etwas hat das Image der Deutschen um den Globus derart geprägt, wie der fröhliche Bayer mit der Lederhose und der Maß in der Hand.
Als das Fass anno 1810 das erste Mal feierlich angestochen wurde, ahnte wohl niemand, dass es innerhalb der nächsten 200 Jahre von einer heimelig-bajuwarischen Restbiervernichtung zu einem der größten Volksfeste der Welt avancieren würde. Und auch dieses Jahr verwandelt sich die Theresienwiese wieder in eine Fest(quadrat)meile, gefüllt mit 30 großen Bierzelten und allerhand Nasch- und Gaukelwerk.
"O'zapft is!"
Zumindest zum Fassanstich gibt sich das Feiervolk jedoch noch ganz traditionsbewusst. Da zwängen sich die Vertreter aus Politik und Profisport in Lederhosen, lassen sich in Momenten gelebter Volksnähe ablichten – natürlich nicht ohne dass sich der ein oder andere weibliche C-Promi im mehr oder weniger gut sitzenden Dirndl aufs Bild drängt. Punkt 12 Uhr des Eröffnungstages gibt sich der Oberbürgermeister Münchens höchstpersönlich die Ehre, das erste Fass anzustechen. Gemeinhin gilt der Moment des Anstechens als Bewährungsprobe. Ein „echter“ Münchener sollte den Zapfhahn nicht unbedingt erst nach zehn Schlägen spritzend in das Fass quälen. Mit einem Dutzend Böllerschüssen startet der offizielle Ausschank. Innerhalb der nächsten zweieinhalb Wochen werden nun knappe sechs Millionen Liter Bier die Kehlen aus aller Welt hinabgespült. Verkauft werden allerdings nur Biere aus Münchener Qualitätsbrauereien.
Von vollen Gläsern und leeren Handtaschen
Täglich strömen nun so viele Besucher in die Festzelte, dass sich schier endlose Schlangen bilden. Gerade ab 18 Uhr senkt sich das Durchschnittsalter des Publikums dabei zunehmend, da ab diesem Zeitpunkt die bajuwarische Blasmusik den seichteren, Fetenklängen weicht. Die Veranstalter der Wies'n versuchen seit 2004 so, den Alkoholkonsum zumindest tagsüber in Grenzen zu halten. Tatsächlich hat es die Wies'n bei allem Biergenuss geschafft, ihren Charakter als sympathisches, generationsübergreifendes Volksfest „für jedermann“ zu behalten. Das Aufeinandertreffen verschiedener Feier-Philosophien endet meist in einer bunten, ausgelassenen Mischung – kleinere Auseinandersetzungen sind zwar an der Tagesordnung, insgesamt ist das Oktoberfest gemessen an seiner Größe, jedoch als friedlich zu bezeichnen.
Lediglich der Handtaschendiebstahl hat in den letzten zehn Jahren einen Aufschwung erlebt, von dem manches europäische Land träumen würde. Zwar wird jedes Jahr eine eigene Polizeiinspektion aufgestellt, doch sind Langfinger noch immer sehr erfolgreich. Schuld ist dabei meist die eigene Nachlässigkeit – niemand lädt derart zum „Zugreifen“ ein, wie ein Feierlustiger der in einer ruhigen Ecke seinen Rausch ausschläft. Doch nicht immer sind es lange Finger, die den eigenen Geldbeutel plündern. Hochrechnungen ergaben, dass der durschnittliche Wies'n-Besucher knapp 50 Euro ausgibt – der größte Dieb auf dem Oktoberfest ist und bleibt somit der eigene Durst.
Ein Prosit auf die Völkerfreundschaft!
Gerade Gäste aus Fernost oder vom amerikanischen Kontinent sind es, die bereits mit „normalem“ deutschen Bier und seinen für ihre Verhältnisse üppigen 5 Prozent, erhebliche Anpassungsschwierigkeiten haben. Da sorgt das extra für die Wies'n gebraute Märzen mit knapp 6-7% Alkohol um so schneller für heitere Stimmung, peinliche Schnappschüsse und volle Münchner Notaufnahmen. Gleichzeitig fällt so aber auch manche Grenze in den Köpfen, und es kommt zu multikulturellen Verbrüderungsszenen, wie sie sonst höchstens auf dem katholischen Weltjugendtag – Alkohol inklusive – anzutreffen sind. So sitzen schon einmal Japaner, Amerikaner und Australier gemeinsam um denselben Tisch, auf dem ein Engländer einer Italienerin schöne, glasige Augen macht.
Gold nicht nur für den Rachen
Doch nicht nur das Bier gibt sich als kulinarischer Botschafter Deutschlands: Neben verschiedenen Biersorten können auch Brezeln oder andere bayrische Gaumenfreuden wie Weißwurst oder Brathendl zu stolzen Preisen getestet werden. Doch finanzielle Gewinner sind nicht nur die Inhaber von Imbissbuden und Festzelten, sondern auch die Betreiber der zahlreichen Fahrgeschäfte. Bekanntestes ist sicherlich das Riesenrad – kaum ein Besucher lässt sich die Menschenmassen aus der Luft entgehen. Aber auch Hexenschaukel, Toboggan und Teufelsrad sorgen bei vielen Gästen für eine unheilige Kombination aus drehendem Kopf und drehendem Magen. Generell ist das Oktoberfest nicht nur ein identitätsstiftendes Event, sondern auch eine wahre Goldgrube und ein wichtiger lokaler Wirtschaftsfaktor. Besonders die Tourismusindustrie hat Grund zur Freude: Jedes noch so ungemütliche Bett ist restlos ausgebucht. Insgesamt wurde im Jahr 2010 etwa 1 Milliarde Euro umgesetzt. Die Veranstalter erhoffen sich auch dieses Jahr, trotz verregnetem Starts, hohe Gewinne. Bei Maß-Preisen von über 9 Euro scheinen Zweifel unangebracht. Zum Schluss ein kleines Rechenspiel: Jedes Jahr wird auf dem Oktoberfest etwa eine Maß pro Besucher verkauft. Offiziellen Zahlen zufolge zirka 6 Millionen Krüge, die von der Theke zum Gast getragen werden müssen. Unter ca. 12000 Menschen, die auf der Wiesn arbeiten, kellnern etwa 1700 vor allem weibliche Servicekräfte. Das bedeutet, dass in 17 Tagen Oktoberfest jede Kellnerin etwa 3500 Maßkrüge trägt. Kein Wunder also, dass sich daraus sogar ein eigener Wettbewerb entwickelt hat. Autor: Peter Fünfstück |